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10. Jazz-Stile: 1940-1960 --- FÜR DIE SCHULE ERKLÄRT


In den 1930er Jahren waren viele junge Leute von der Swingmusik begeistert. Jazz-Kritiker diskutierten, was „echter“ Jazz ist im Gegensatz zu „kommerziellem“. Sie sprachen von den nächtlichen Zusammenkünften der Musiker in Insider-Kneipen, bei denen sie mehr für sich als für ein Publikum spielten und Wettkämpfe austrugen. Das wollten Jazz-Interessierte hören. Einige New Yorker Lokale engagierten deshalb kleine Bands und ließen die Musiker so spielen, als wären sie unter sich. Das ergab eine Bühne für anspruchsvolleren Jazz zum Zuhören und hier präsentierten in den 1940er Jahren junge Musiker wie Dizzy Gillespie und Charlie Parker ihre innovative Musik. Die wäre für das große Publikum, das Swing zum Tanzen und Shows mochte, zu anspruchsvoll gewesen. Jazz-Kritiker nannten diesen neuartigen, schwierigeren Jazz Bebop und stellten ihn als revolutionäre Gegenreaktion auf die kommerzielle Swing-Welle dar. Tatsächlich war er jedoch einfach eine Weiterentwicklung des afro-amerikanischen Jazz, die hinter den Kulissen des Musikgeschäfts zustande kam. [Mehr zu Bebop: Link] Viele Jazz-Kritiker taten sich mit dem Bebop schwer und noch heute wird er in Schulbüchern als hektisch, nervös und zerrissen beschrieben. In Wahrheit spielte ein Meister wie Charlie Parker (der wichtigste Bebop-Musiker) nie hektisch, sondern im Gegenteil mit lockerer, zurückgelehnter Lässigkeit – selbst bei hohem Tempo. Auch sind seine Improvisationen absolut nicht zerrissen, sondern wunderbare melodische Linien mit einer fantastischen Rhythmik. Man muss sich nur ein wenig an diese Musik gewöhnen.

Wie erkennt man Bebop? Die Schulbücher nennen als Merkmale:

  1. Bebop wird meistens nicht von Bigbands, sondern kleinen Bands gespielt. Für die wurde früher oft der Ausdruck „Combo“ verwendet. Bebop-Bands haben meistens nicht mehr als drei Blasinstrumente. Meistens sind das Saxofon, Trompete und eventuell Posaune.

  2. Im Bebop gibt es keine Kollektivimprovisation. Zunächst wird das Thema von den Bläsern unisono vorgestellt. Das Thema ist das Stück, über das improvisiert wird, der Song. Unisono heißt, dass die Bläser miteinander dieselbe Melodie spielen. Im folgenden Beispiel machen das ein Saxofonist und ein Trompeter.

              HÖRBEISPIEL: Charlie Parker: Perhaps (1948)

    Nach dem Thema improvisieren die Musiker nacheinander, also jeder alleine, solo. Es folgen also mehrere Soli aufeinander. Dabei werden die Solisten von der Rhythmusgruppe begleitet, die meistens aus Klavier, Kontrabass und Schlagzeug besteht. Im folgenden Ausschnitt hört man den Übergang vom Thema zum Solo des Saxofonisten.

              HÖRBEISPIEL: Charlie Parker: Perhaps (1948)

    Nach dem Saxofon-Solo folgt in dieser Aufnahme das Trompeten-Solo.

              HÖRBEISPIEL: Charlie Parker: Perhaps (1948)

    Am Ende wird das Thema wiederholt.

  3. Bebop hat einen klaren, swingenden Beat, aber der Beat ist dezent im Hintergrund, denn er wird nur auf dem Kontrabass und auf Becken des Schlagzeugs gespielt. Im folgenden Beispiel hört man das hinter einem Klavier-Solo.

              HÖRBEISPIEL: Charlie Parker: Segment (1949)

    Der dezente Beat wird oft von vielen rhythmischen Akzenten überlagert, die ständig variieren. Das macht den Rhythmus komplizierter und unberechenbar. Bebop eignet sich daher weniger als Tanzmusik und ist mehr zum Zuhören gedacht. Doch ist beim Hören das rhythmische Gefühl sehr wichtig.

  4. Die Harmonik ist komplizierter als in der populären Swing-Musik. Es werden dichtere Akkordfolgen und mehr Dissonanzen verwendet. Anspruchsvolle Harmonien spielten manche Jazz-Musiker aber auch schon vor dem Bebop.

Als bedeutende Bebop-Musiker nennen Schulbücher neben Charlie Parker (Alt-Saxofon) und Dizzy Gillespie (Trompete) vor allem Thelonious Monk (Klavier) [Zu Monk: Link], Kenny Clark und Max Roach (beide Schlagzeug) [Zu Clark und Roach: Link].

Die bedeutenden Bebop-Musiker waren alle Afro-Amerikaner und ihre Musik hat einen ausgeprägten afro-amerikanischen Charakter. Die Jazz-Kritiker waren hingegen „Weiße“ aus besseren Verhältnissen. Ihre Begeisterung für Jazz war ein Ausbrechen aus ihrer bürgerlichen Welt. Letztlich blieben sie aber doch der klassisch-europäischen Bildung verbunden, mit der sie aufgewachsen waren. Um 1950 wurden sie auf junge Musiker aufmerksam, die auf dem Bebop aufbauten, aber in eine weichere Richtung gingen, mehr zur Ästhetik der „klassischen“ Musik hin. Das sprach die Kritiker an. Sie sahen darin einen neuen Stil und nannten ihn Cool-Jazz, weil er weniger dicht, weniger rhythmisch, weniger energiegeladen war, also nicht heiß, sondern eher kühl. Cool im Sinn von hip, lässig war diese Musik aber gerade nicht. Zwei Afro-Amerikaner spielten in diesem Bereich eine wesentliche Rolle: Der junge Trompeter Miles Davis und der Pianist John Lewis, der der bestimmende Kopf des Modern Jazz Quartets war. Miles Davis machte um 1950 einige Aufnahmen, die später unter dem Titel Birth of the Cool erschienen. In diesen Aufnahmen domminieren neuartige, weiche Klänge und Arrangements nehmen einen großen Raum ein, sodass die Improvisation etwas zurückgedrängt wird. Das Modern Jazz Quartet bestand aus Klavier, Vibrafon, Bass und Schlagzeug und hatte schon deshalb einen eher kühlen Klang. Die Musik des Quartetts war oft stark von der Barockmusik beeinflusst und hatte ebenfalls viele arrangierte Teile.

Außer diesen Afro-Amerikanern waren die Musiker des Cool-Jazz größtenteils „weiß“. Der erfolgreichste von ihnen war Dave Brubeck, der vor allem mit dem Stück Take Five bekannt wurde – einem Stück im damals ungewöhnlichen Fünfviertel-Takt.

Cool-Jazzer präsentierten ihre Musik oft als Kunst im klassischen europäischen Sinn. Das sprach viele gebildete Leute an. Sie sahen im Cool-Jazz eine gehobene Form von modernem Jazz. Noch heute heben Schulbücher Cool-Jazz als intellektuellen, ernsthaften, kunstvollen Stil hervor. Das beruht auf einem Missverständnis. Die Musik von Meistern wie Charlie Parker ist für viele einfach zu clever. Miles Davis sagte später zu seinen Cool-Jazz-Aufnahmen: Charlie Parker und Dizzy Gillespie spielten diese schrägen, wirklich schnellen Sachen, aber wer nicht genauso schnell hörte, dem entging der Humor und das Gefühl in ihrer Musik. Wir spielten uns etwas sanfter in die Ohren der Leute. Mehr war’s nicht.

Wie erkennt man Cool-Jazz? Was die Jazz-Kritiker zum Cool-Jazz zählten, klingt oft sehr unterschiedlich. Die Schulbücher beschränken sich jedoch weitgehend auf die genannten Beispiele: Birth of the Cool, Modern Jazz Quartet und Dave Brubeck.

          HÖRBEISPIEL: Miles Davis: Boplicity (1949) Album: Birth of the Cool
          HÖRBEISPIEL: Modern Jazz Quartet: Vendôme (1952)
          HÖRBEISPIEL: Dave Brubeck: Take Five (1959)

Der Cool-Jazz ging in Richtung europäische Kultur, weg von der afro-amerikanischen Tradition. [Mehr zu Cool-Jazz: Link] Ab ungefähr 1955 beachteten Jazz-Kritiker die afro-amerikanische Szene wieder mehr und fanden ihre Musik im Vergleich zum Cool-Jazz rauer, härter. Sie nannten sie deshalb Hardbop und sahen in ihr einen neuen Stil.

Der Ausdruck Hardbop wird sehr unterschiedlich verwendet. Die Schulbücher verstehen darunter eine gewisse Art von Jazz, die auf dem Bebop aufbaut, aber eingängige Elemente aus der Gospel- und Blues-Musik verwendet. Dadurch war dieser Jazz ziemlich populär. Als typische Vertreter nennen die Schulbücher Horace Silver und Art Blakey. Ihre Musik ist am ehesten durch die eingängigen Themen erkennbar. [Mehr zu Hardbop: Link]

          HÖRBEISPIEL: Horace Silver: The Preacher (1955)
          HÖRBEISPIEL: Art Blakey: Moanin' (1958)
          HÖRBEISPIEL: Art Blakey: Dat Dere (1960)

Es gibt aus dieser Zeit viel spannenderen afro-amerikanischen Jazz als diesen Hardbop und erst recht als Cool-Jazz.1) Aber von dem ist in den Schulbüchern nicht die Rede. Mehr dazu im Video-Text.

Manche Schulbücher lassen die Jazz-Geschichte schon mit dem Hardbop oder gar mit dem Cool-Jazz enden, andere gehen ein Stück weiter.

Jazz-Stile ab 1960: Link

 

Alle Video-Texte

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Fußnoten können direkt im Artikel angeklickt werden.

  1. Zum Beispiel Aufnahmen von: Sonny Rollins, John Coltrane, Miles Davis

 

 


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