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Was ist M-Base?
Steve Coleman, What Is M-Base?1)
Eigene Übersetzung
Was M-Base nicht ist:
- eine Abkürzung für irgendeine Art von Computer-Sprache oder Computer-Ausdrucksweise
- ein Musik-Stil
- ein Name, der erfunden wurde, um Kritiker zum Narren zu halten und sie so dazu zu bringen, über Musiker zu schreiben, die behaupten M-Base zu „spielen“
- eine Visitenkarten tragende Gesellschaft mit Mitgliedern, die Beiträge bezahlen
- ein Vorwand, um geltend zu machen, dass man anders als andere Musiker ist
- ein Name, mit dem man seine Musik benennen kann, um mehr Gigs zu bekommen
- ein Vorwand, ungerade Metren zu spielen
- ein Hinweis darauf, dass man die Musik von Wynton Marsalis oder von Musikern, die mit ihm verbunden sind, nicht mag
- ein Vorwand, Akkorde zu ignorieren oder Akkord-Progressionen für irrelevant zu halten
Was M-Base ist:
- eine Abkürzung für „Macro - Basic Array of Structured Extemporizations” [Große, weite Basis; grundlegende Anordnung strukturierter Improvisationen]. Für uns ist damit das Ausdrücken unserer Erfahrungen durch eine Musik gemeint, die Improvisation und Struktur als zwei ihrer Hauptbestandteile verwendet. Es gibt keine Begrenzung der Art von Strukturen, der Art von Improvisation oder des Stils der Musik. Das Hauptziel ist, unsere Erfahrungen kreativ auszudrücken, so wie sie heute sind, und eine gemeinsame kreative musikalische Sprache aufzubauen, um das auf einer Art weiter kollektiver Ebene (macro, basic, array) zu machen.
- Musik-Kritiker haben ständig behauptet, dass M-Base ein Musik-Stil sei, das ist aber nicht wahr. Von jeher waren Kritiker im Großen und Ganzen unfähig, mit irgendeinem kreativen Ausdruck umzugehen. M-Base ist eine Denkweise über das Gestalten von Musik, nicht die Musik selbst. Eine der Haupt-Ideen im M-Base ist das Wachsen durch Kreativität. Während wir durch unsere Erfahrungen lernen, wird sich die Musik verändern und wachsen und das reflektieren. Die Idee ist nicht, irgendeinen Musik-Stil zu entwickeln und den dann für immer zu spielen.
- Das bedingt hauptsächlich konzeptionelles Wachstum im Gegensatz zu technischem Wachstum, obgleich auch das notwenig ist. Alle Elemente in der Musik kommen aus den Lebenserfahrungen. Was meine Musik anbelangt, so hören die Leute einen musikalischen Ausdruck davon, wie ich die Welt zu diesem Zeitpunkt sehe – begrenzt durch meine musikalischen Fähigkeiten. Verändert wird die Musik durch eine Ausweitung (oder eine Veränderung) der Art, wie ich die Dinge sehe, (der Perspektive oder Philosophie) oder durch ein Dazu-Lernen, wie diese Sichtweise durch Musik ausgedrückt werden kann (das bedeutet für mich, ein besserer Musiker zu werden) oder durch beides. Ich spiele nicht im Hinblick auf die Entwicklung von etwas „Verschiedenem“, denn jedes Individuum ist bereits einmalig, und alles, was zu tun ist, ist zu lernen das auszudrücken (durch Musik oder was auch immer).
- Das Konzept des M-Base ist in vielfacher Hinsicht eine nicht-westliche Konzeption davon, wie Musik verwendet werden kann um Erfahrung auszudrücken. Zum Beispiel existieren für mich die westlichen Konzepte der Taktarten (einschließlich der so genannten „üblichen“ und „ungeraden“ Taktarten) weitgehend nicht und haben im Gestalten der Musik keinen Platz. Diese Konzepte kommen aus der europäischen Kunstmusik, während die Konzepte des M-Base hauptsächlich auf Musik aus Afrika und auf kreativer Musik der afrikanischen Diaspora (in der es in den letzten 76 Jahren eine laufende Steigerung der Verwendung nicht-westlicher Konzepte als Basis für die Musik gibt) beruhen. Diese Musik ist vor allem in den Bereichen der spirituellen, rhythmischen und melodischen Entwicklung einzigartig. Es ist die spirituelle Komponente, die am öftesten missverstanden wird (und das beeinflusst die Weise, wie die anderen Elemente gesehen werden). In dieser Hinsicht ist M-Base nicht anders als viele andere kreative Perspektiven, die davor entstanden sind.
- Schließlich hat hier auch das Konzept von „welcher Stil ist besser“ keinen Platz. Da das Ziel der Ausdruck der Kultur und Philosophie ist, gibt es kein „besser“. Es gibt nur die Perspektive der Person, die die Musik erlebt, und was diese Person hört, ist weitgehend von ihrer eigenen Erfahrung geprägt. Mit anderen Worten: Was der Hörer „hört“ hängt davon ab, wer der Hörer ist. Dieselbe Musik kann von verschiedenen Leuten auf sehr verschiedene Weise erlebt werden. Wenn ich zum Beispiel die Musik von Charlie Parker höre und diese Musik mit anderen Musikern diskutiere, dann kann ich – trotz der Tatsache, dass Birds [Parkers] Musik heute wohlbekannt ist – mit anderen Musikern (besonders mit Musikern im Alter von weniger als ungefähr 45 Jahren) kaum Übereinstimmung darüber finden, wie wir Parkers Musik wahrnehmen – nicht einmal annähernd. Wer der jeweilige Musiker ist (ich meine persönlich, spirituell und kulturell) spielt eine große Rolle für die Art, wie er die Musik wahrnimmt. Und auch die Art, wie er ausgebildet ist, spielt eine große Rolle.
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Steve-Coleman-Zitat im Buch Sozialgeschichte des Jazz von Ekkehard Jost:
M-Base ist ein Begriff, der nur für uns als eine Gruppe etwas bedeutet. „Base“ steht für Basis, denn das, worauf wir hinauswollen, ist eine gemeinsame Sprache. „M“ steht für Macro, und beides zusammen bedeutet schlicht „starke Basis“. Aber „Base“ ist auch ein Kürzel für basic array of structured extemporations (grundlegende Anordnung strukturierter Improvisationen); und das genau ist es, was die meisten von uns machen: Wir haben alle etwas mit Improvisation zu tun, und die ist normalerweise strukturiert. Wir hoffen allerdings, dass M-Base sich nicht zu einem so eng begrenzten Begriff entwickelt, dass jeder meinen könnte, wir machen bis zu unserem Lebensende immer nur ein und dasselbe. Es wird jedenfalls niemals ein so rigider Terminus werden wie Jazz oder Funk oder Jazzfunk, alles Begriffe, die ich hasse.2)
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Fußnoten können direkt im Artikel
angeklickt werden.
- Original auf Steve Colemans Internetseite, Internet-Adresse: http://m-base.com/what-is-m-base/
- Ekkehard Jost, Sozialgeschichte des Jazz, 2003, S. 372
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